Um es vorweg zu nehmen: Diesen Nachmittag werden wir den Rest unseres Lebens wohl kaum mehr vergessen, denn was uns beiden geboten wird, übertrifft unsere kühnsten Erwartungen.
Aber
nun der Reihe nach: Als wir uns dem Gebäude von Blancpain in Le Brassus nähern, kann man auf den ersten Blick kaum glauben, dass dieses am steilen Hang, kurz vor der Talstation des örtlichen Skilifts von Le Brassus gelegene ehemalige Bauernhaus Ateliers beherbergt, in denen komplizierteste Meisterwerke entstehen. Blancpain hat sich hier nach der im Jahr 1983 erfolgten Wiederbelebung der einige Jahrzehnte lang nicht mehr aktiven Marke durch den früheren Omega-Manager Jean-Claude Biver niedergelassen. Bisher wurden kaum Veränderungen im Inneren des Gebäudes vorgenommen. Grégory Staehli, ein junger Mitarbeiter bei Blancpain, der unsere Terminanfrage beantwortet und uns zur Besichtigung der Ateliers eingeladen hat, begrüßt uns sehr herzlich und erzählt uns, dass wir uns glücklich schätzen könnten, die Räumlichkeiten noch in ihrem alten Zustand sehen zu können. Denn demnächst würden bauliche Veränderungen vorgenommen, um den aktuellen Anforderungen an die Produktion mikrotechnischer Erzeugnisse Rechnung zu tragen. So könnten z.B. Staub und Pollen derzeit ungehindert in die Arbeitsräume eindringen, was sich – wenn man nicht dauernd Vorsichtsmaßnahmen ergreifen würde - sehr ungünstig auf die Montage der Komplikationen auswirken könnte.
Nach
einer kurzen Einführung in die Geschichte der Marke Blancpain führt
uns Grégory Staehli in die Ateliers. Und tatsächlich sitzen hier die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch wie in der „guten alten
Bauernstube“. Fenster, Wände und Holzvertäfelungen sind noch in ihrem Originalzustand belassen. Nur die modernen
Messgeräte, Maschinen, Werktische und Uhrmacherstühle erinnern daran,
dass hier nicht die Bäuerin einen landwirtschaftlichen Haushalt führt,
sondern dass edle Uhren einer Marke der Swatch-Group hergestellt werden.
Ganz offenbar fühlen sich die Mitarbeiter in diesen ruhigen Räumen,
die an diesem Nachmittag von der Frühjahrssonne durchflutet werden,
wohl. Ruhig und mit hoher Konzentration gehen sie ihrer Tätigkeit nach.
Sofort fällt auf, dass hier eine angenehme, familiäre Atmosphäre
herrscht, und man fühlt sich auch keineswegs durch zwei neugierige
Besucher aus Deutschland gestört. Im Gegenteil: Lächelnd begrüßen
sie uns und freuen sich über das Interesse, das wir ihrer Arbeit
entgegenbringen. Schnell
wird uns klar, woran es liegt, dass es hier so ruhig zugeht: Die lärmenden
und „schmutzigen“ Arbeitsschritte wie z.B. die spanabhebende
Metallverarbeitung an CNC-Fräsen oder das Stanzen von Komponenten
werden an anderen Orten erledigt. So bekommt
Blancpain die Rohwerke von der ebenfalls im Vallée de Joux ansässigen
Firma Frédéric Piguet SA bzw. vom eigenen Produktionsbetrieb in Paudex
bei Lausanne geliefert; dort arbeitet auch die Mehrzahl der
Blancpain-Mitarbeiter. Im ersten Raum, den Grégory Staehli für uns öffnet, werden die angelieferten Bauteile der Kaliber angliert, geschliffen, poliert und zum Teil mit Genfer Streifenschliff oder sonstigen Veredelungstechniken wie z.B. Perlierung versehen.
Im
Nebenraum, der Werkzeugmacherei, arbeitet ein Mitarbeiter gerade an
einer kleinen Drehbank. Er ist unter anderem zuständig für die
Anfertigung hochwertiger Bauteile für die eine Etage tiefer
entstehenden „Meisterstücke“. Außerdem stellt er Werkzeuge her,
die die Uhrmacher in den Ateliers benötigen. Zu seinem Fachgebiet gehört
auch die Anfertigung von Konstruktionsplänen und Werkzeugen für
Uhrenbauteile sowie spezielle Designvarianten wie z.B. individuelle, auf
Kundenwunsch angebrachte Gravuren am Rotor usw. Im nächsten Atelier ist die Revisionsabteilung untergebracht. Die zur Revision eingesandten, besonders komplizierten Blancpain-Uhren werden hier vollständig demontiert, d.h. in alle Einzelteile zerlegt und in Reinigungsbädern gesäubert. Defekte oder abgenutzte Bauteile werden durch neue Komponenten ersetzt, so dass der Kunde nach der Remontage, Ganggenauigkeits- und Dichtigkeitsprüfung und den anderen Kontrollvorgängen praktisch wieder eine neuwertige Uhr in den Händen hält. Blancpain empfiehlt solche Revisionen in Intervallen von drei bis fünf Jahren. Grégory Staehli berichtet von einem Fall, in dem eine Revision allerdings schon nach einem viel kürzeren Zeitraum notwendig war. Ein Kunde hatte eine ungetragene Blancpain bei einem Händler in London gekauft und wunderte sich, dass sie von Anfang an nicht richtig ging. Bei der Revision stellte sich heraus, dass die Uhr im Schaufenster oder an einem ähnlichen Ort wohl extrem hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen sein musste. Jedenfalls war das Öl völlig verharzt. Nach Reinigung und erneuter Montage lief die Uhr wieder so, wie es sich gehörte.
Nun
nähern wir uns dem Höhepunkt der Besichtigung: Grégory Staehli führt
uns in das Atelier von Patrick Martin und Georges Schäfer, beide wahre
Meister ihres Fachs, die unter anderem die „1735“ von Blancpain bauen. In dieser
Grande Complication sind die so genannten „sechs Meisterstücke der
Uhrmacherkunst“ innerhalb eines einzigen Uhrengehäuses vereint. Bei den „sechs
Meisterstücken der Uhrmacherkunst“ handelt es sich im einzelnen um
Der Bau der „1735“, einer aus sage und schreibe 740 Einzelteilen bestehenden Uhr, dauert fast ein halbes Jahr. Vom ersten bis zum letzten Handgriff der Montage ist ein und der selbe Mitarbeiter mit dem Zusammenbau befasst. Dieser Mitarbeiter reist dann auch zu dem Kunden, der die Uhr bestellt hat, egal ob dieser in Zürich oder in Singapur lebt, und weist ihn persönlich in den Gebrauch des Meisterstücks ein. Dass ein solche Unterweisung im Einzelfall dringend notwendig sein kann, zeigte sich, wie uns Grégory Staehli schmunzelnd erzählt, bei einem sehr wohlhabenden Kunden aus dem arabischen Kulturkreis. Dessen Sohn hatte – ohne mit den Details der Uhr vertraut zu sein – Gefallen an der 1735 seines Vaters gefunden und die (nicht wasserdichte!!!) Uhr in den Pool mitgenommen, um ein paar Runden mit ihr zu schwimmen. Die anschließende Reparatur dauerte fast so lange wie der Bau einer neuen Uhr.
Die 1735 wird in einer Gesamtstückzahl von nur 30 gebaut. 15 wurden bereits bestellt. Wer ein solch edles Stück sein eigen nennen will, sollte daher langsam an’s Ordern denken und genügend Kleingeld bereithalten. 920.000 Schweizer Franken sollten es schon sein. Mit entsprechender Ehrfurcht betrachten wir dann auch ein fertig montiertes Exemplar, das Grégory Staehli wie ein rohes Ei zum Mikroskop trägt, um uns am Bildschirm in entsprechender Vergrößerung das faszinierende Zusammenspiel der Räder und Bauteile zu demonstrieren. Die Einladung, Fragen zu stellen, nehmen wir nur zu gern an. Besonders Martina bombardiert die beiden Meister und Herrn Staehli mit Fragen. Ich habe das Gefühl, dass sie schon 5 Monate vor Ausbildungsbeginn in ihre Rolle als Uhrmacherlehrling geschlüpft ist und alle Informationen geradezu wie ein Schwamm aufsaugt. Die Fachleute quittieren dieses Interesse mit einem Lächeln und kompetenten Antworten.
Zum Schluss der Besichtigung statten wir noch der im Erdgeschoss untergebrachten Abteilung für Qualitätssicherung und Endkontrolle einen Besuch ab. Hier werden die fertig montierten Uhren strengen Tests in Bezug auf Ganggenauigkeit, Wasserdichtigkeit, ästhetischen Eindruck usw. unterzogen, bevor sie grünes Licht für die Auslieferung an die Kundschaft erhalten.
Glücklich
und erschöpft ob der Fülle von Impressionen und Informationen tragen
wir uns schließlich in das Gästebuch des Hauses Blancpain ein und
bedanken uns bei unseren Gastgebern für die überaus freundliche
Aufnahme und den für nur zwei Besucher betriebenen Aufwand. Grégory
Staehli versichert uns, dass das zur Philosophie der Marke Blancpain gehöre
und daher selbstverständlich sei. Er sagt uns, dass er viel lieber Führungen
mit einer oder zwei Personen macht als mit einer ganzen Busladung.
Angesichts der Ausmaße der Räumlichkeiten wundert uns das nicht. In
der Tat haben wir den Eindruck, dass man bei Blancpain alles unternimmt,
um wieder eine Spitzenstellung bei komplizierten Uhren einzunehmen. Dazu
gehört auch eine offensive Öffentlichkeitsarbeit und ein Zugehen auf
solche potenziellen Kundenkreise, deren Interesse an der Marke erst noch
animiert werden muss. Nach
dem heutigen Tag können wir zu hundert Prozent bestätigen, dass
Blancpain damit Erfolg haben wird. Uns war die Marke zwar schon zuvor
ein Begriff gewesen. Seit unserem Besuch in Le Brassus können wir aber
behaupten, dass der Schriftzug „Blancpain“ unauslöschlich in
unserer Erinnerung eingraviert bleiben wird. Bei einem unserer nächsten
Uhrenkäufe wird sich dieses Engagement für Blancpain sicherlich
auszahlen. Da
die Sonne auch auf dem Rückweg zu unserer Unterkunft noch vom
wolkenlosen Himmel auf uns herabscheint, beschließen wir, diesen schönen
Tag auf der Sonnenterrasse des Hotel Bellevue am Ufer des Lac de Joux
ausklingen zu lassen. Mit etwas Wehmut müssen wir feststellen, dass
unsere Uhrenreise sich schon ihrem Ende zuneigt ...
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